der_grazer
 

feindbild

 

seltsamerweise ist nach wie vor ein motorradfahrer automatisch ein feindbild, so zumindest erweckt es den anschein. begründet werden kann der anschein recht einfach durch tägliche beobachtungen, zum bleistift im straßenverkehr oder beim betreten eines lokals oder... man braucht nur mit offenen augen durch's leben gehen, dann sieht man immer wieder, wie das klischee des motorradfahrers als feindbild auftritt.

keine ahnung, woher dieses offensichtliche feindbild stammt, vielleicht aus früheren jahren, als diverse "motorradgangs" noch tatsächlich feindlich gesinnt die strassen kleiner ortschaften wie im kampf einnahmen und die wilde horde markierten, aber heute ist das doch alles nur mehr asche von vorgestern, oder nicht?

ein simples beispiel: eine ältere dame steht am strassenrand und kämpft mit einer abgesprungenen kette. langsam erfasst die verzweiflung die dame, die kette will und will nicht rauf, es geht einfach nix mehr und als ältere dame hat man natürlich weder ein mobiltelefon noch wüßte man damit umzugehen, all der neumodische kram... und alle fahren vorbei! seit einer halben stunde kämpft die dame nun, manche autofahrer oder radfahrer fahren schon sicher das zweite mal vorbei, vielleicht sogar öfter... aber die dame bleibt in ihrem unglück allein...

plötzlich hält eine schwere maschine an, der typ, also, rein optisch einfach die klassische horrorgestalt eines, nun ja, sagen wir's mal volkstümlich, eines rockers steigt ab und stiefelt an die dame heran...

mit jedem schritt, die der rocker näher kommt, weicht die verzweiflung. statt dessen macht sich angst breit, man kann es sehen, vielleicht kann man es sogar riechen, keine ahnung, denn der benzindunst und der verkehrsgestank überdecken so ziemlich alles...

der rocker versucht zwischen den mäcken und anderen leichen durch zu lächeln, aber irgendwie scheint das nicht gerade beruhigend zu wirken... "haben wir gleich, kann jedem mal passieren, ist kein drama"... was beruhigend wirken soll, scheint die wirkung zu verfehlen... die dame weicht einen schritt zurück, der rocker (bleiben wir zwecks veranschaulichung bei der bezeichnung, egal, wie falsch sie ist...) ergreif mit seinen lederfingern die kette, rupft einmal krüftig dran, packt aus seinem bordwerkzeug ein paar schraubenschlüssel raus und repariert schnellen fingers den kleinen fehler... legt die kette auf, dreht das rad um und reicht es der dame... "fertig, geht schon wieder! ein paar tropfen Öl haben sich verklemmt..."

dann packt der rocker das werkzeug weg, steigt auf, grüßt und startet die schwere maschine und weg ist er...

am strassenrand steht eine verduzte, ältere dame und versteht die welt nicht mehr. ein feindbild ist zerbrochen...

ein anderes beispiel: eine strassenkreuzung wird gesperrt, ruhe kehrt ein... dann beginnt sanftes donnergrollen die luft zu erfüllen, das sanfte donnergrollen wird stärker, lauter, spürbarer... dann kommt einmal eine maschine, dann eine weitere dann immer mehr, eigentlich schon eine richtig große gruppe, eine sehr große gruppe, mehrere hundert maschinen donnern heran, sogar ein paar tausend... dann werden es wieder weniger, das grollen nimmt ab, langsam kehr wieder ruhe ein, die kreuzung wird freigegeben... und das donnern verschwindet am horizont. alles durch die bank eigentlich die totalen feindbilder, motorradfahrer, im volksmund auch rocker genannt... sie ziehen in einer sehr großen gruppe durchs land... und am ende wartet mit sehnsüchtigen augen eine große kinderschar auf die personifizierten feindbilder, auf die rocker... denn im gegensatz zu vielen anderen reden die rocker nicht drüber, sondern sie tun es: helfen, alle gemeinsam und ohne vorurteile. und sie helfen kindern, die eigentlich ja keiner haben will, schwer erziehbare, behinderte oder kinder aus zerbrochenen familien... egal, sie brauchen hilfe und bekommen sie...

und egal, ob rocker, rollerfahrer, kinder oder auch nur zuschauer, alle feiern ein gemeinsames fest, haben spaß und die, die eigentlich die üblichen feinde sind, sind an diesem tag in den augen der allgemeinheit doch keine feindbilder, sondern vielleicht doch nur menschen, die nicht reden, sondern zupacken, wie viele andere helden des alltags, die unerkannt und unverstanden ihre werke verrichten...

schlußendlich sind das vielleicht nur zwei beispiele von vielen möglichen szenarien, doch am ende stellt sich immer die selbe frage: was bleibt, wenn man mal genauer hin sieht, vom feindbild wirklich übrig?